"Lasst euch versöhnen": Gottesdienst zum Karfreitag 2020

Gruß und Begrüßung

Im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Der Friede des Herrn sei mit euch allen.

An diesem Karfreitag grüße ich Sie in besonderer Weise. Gerne wäre ich heute nach Lindenhardt gekommen, um den Gottesdienst dort zu feiern. Aber die Corona-Krise verbietet öffentliche Gottesdienste und überlagert alles. Sie legt das Leben lahm, wie ein Todesschleier legt sie sich über diesen Karfreitag. Doch wir haben die Hoffnung, dass das Leben zurückkehrt und neue Lebensfreude aufersteht.

Passionszeit, Karfreitag, die Krise in der Fastenzeit zwingt uns, darüber nachzudenken, was wirklich wichtig ist im Leben. Wo muss ich bei mir etwas in Ordnung bringen, bevor es zu spät ist ? Darum soll heute nicht über das Virus gepredigt werden. Man muss auch wieder auf andere Gedanken kommen, damit der Kopf  frei wird und in der Krise bestehen kann. So lasst uns heute das Wort von dem Erbe des Todes Jesu hören, von seinem neuen Testament: „Lasst euch versöhnen mit Gott.“

So mag jede und jeder für sich im Fernsehen oder Rundfunk den Karfreitagsgottesdienst mitfeiern oder an dieser Stelle die Lieder und Gebete, das Evangelium und die Predigtworte lesen und „das Leiden Jesu bedenken“ - für uns zu unserem Heil geschehen.

Lied: EG 91,1-4.8-9  „Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken“

Gebet

Jesus Christus, du unser Heiland und Erlöser. Du hast dich nicht infizieren lassen von dem Hass und Streit der Menschen. Sondern deine Liebe blieb ungebrochen bis zuletzt. Wir danken dir für deine aufopfernde Lebenshingabe am Kreuz zur Erlösung der Welt. Nun wollen wir dein Erbe und Testament für unser Leben annehmen und Botschafter der Versöhnung sein in der Kraft des Heiligen Geistes. Amen.

Evangelium: Johannes 19,16-30

Glaubensbekenntnis

Lied: 85,1-2.6+8  O Haupt voll Blut und Wunden

Predigt

„Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünde nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sund wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lass euch versöhnen mit Gott !

Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit empfingen, die vor Gott gilt.“

(2.Korinther 5,19-21)

Liebe Gemeinde,

Ein trauriger Karfreitag war das damals, als Jesus am Kreuz starb. Ein trauriger Karfreitag ist das heute,wenn jeder mit seiner Trauer allein ist. Ein trauriger Karfreitag ist es, wenn Angehörige und Freunde über die Grausamkeit und Endgültigkeit des Todes  erschrecken und über den Verlust eines lieben Menschen.

Nach einer gewissen Zeit der Trauer kann dann auch die Frage nach dem Erbe aufkommen. Gibt es ein Testament ? Hoffentlich bekommt jeder seinen gerechten Anteil. Notfalls kann man vor Gericht gehen, sein Recht einklagen oder das Testament anfechten. Wenn es so weit kommt, dann sind alle zerstritten. Unversöhnlich geht man sich aus dem Weg.

Da bräuchte es ein neues Testament, eines, das miteinander versöhnt. Und wenn das nicht gelingt, müsste jeder wenigsten für sich versuchen, wieder zur Ruhe zu kommen und inneren Frieden zu finden, vielleicht auch Frieden mit Gott.

Wie schwierig das Erben sein kann, habe ich in einer Familie aus meinem Bekanntenkreis erlebt. Sie ist inzwischen völlig zerstritten ist. An sie musste ich bei dem heutigen Predigttext denken:“Lasst euch versöhnen mit Gott.“

Wenn es ums Erbe geht, braucht es Versöhnung und ein Testament, das versöhnt.

 

So schaue ich heute auf das Erbe Jesu. Erbe ist das, was ein Mensch in seinem Leben aufgebaut und geleistet hat.

Das Erbe Jesu – das ist sein Lebenswerk,als er sagte: „Siehe, das Reich Gottes ist nahe herbei gekommen.“ (Mk 1,15)

Das Erbe Jesu: „Fürchte dich nicht. Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ (Mt 28,20)

Jesus richtete den Gelähmten auf. Er tröstete die Trauernden. Seiner verzweifelten Mutter rief er vom Kreuz aus zu: „Siehe, das ist jetzt dein Sohn. Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.“ (Joh.19,26)

Das Erbe Jesu: Wo andere fluchten, da segnete er und sagte: „Selig sind, die Frieden stiften, denn ihrer ist das Himmelreich.“ (Mt 5,9) Bis zum Tode blieb er seinem Versöhnungsauftrag treu, als er am Kreuze sprach: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ (Lk 23,34)

 

Versöhnung - das war das Lebenswerk Jesu. Wollen Sie dieses sein Erbe annehmen ? Wollen Sie dieses Wirken Jesu auch an sich geschehen lassen,

wie er es bei der Einsetzung des Abendmahls damals gesagt hatte: „Siehe, der Kelch des Heils für dich gegeben. Das  neue Testament in meinem Blut.“

Ein Erbe kann man annehmen und man kann es ablehnen.

 

Darum, liebe Gemeinde, ist dies die  erste Frage am Karfreitag heute: Wollen wir das Erbe Jesu annehmen und seine Vergebung uns zusprechen lassen ? Wollen wir uns versöhnen lassen ?

Und die zweite Frage lautet: Wollen wir auch das Lebenswerk Jesu weiterführen, sein Erbe mit der Botschaft der Versöhnung weiterführen? Das wäre großartig und in unserer zerrissenen Welt heute wichtiger denn je: Versöhnung. Verzeihen, wo Streit trennt. Liebe üben, wo Hassbotschaften zerstören und wo Egoismus das Zusammenleben kaputt macht. Solidarisch beistehen und Mut machen, damit kein Lagerkoller  in die Depression treibt.

Das Erbe Jesu annehmen und sein Lebenswerk über den Tod hinaus weiterführen – dann würden wir den Karfreitag im Horizont des Ostersonntages begehen; dann wäre der Tod Jesu nicht umsonst gewesen sondern für uns zum Heil und Segen geschehen.

 

Und so kommt nun das Testament Jesu zur Geltung: „Lasst euch versöhnen mit Gott.“

Aber Versöhnung ist gar nicht so einfach. In jener besagten Familie aus unserem Bekanntenkreis gingen die persönlichen Verletzungen und Kränkungen so tief, dass kein Gespräch und kein versöhnliches Wort mehr möglich waren. Jeder fühlte sich vom andern betrogen und ausgenutzt. Das ging soweit, dass einer der Brüder verzweifelt seinen Geburtstag verfluchte: „Warum bin ich nur in diese furchtbare Familie hineingeboren, die mir alles Lebensglück zerstört?!“ So haderte er auch mit sich selbst und seinem eigenen Leben. Aber er sagte auch, er suche Halt im Glauben an Jesus. Wenigstens mit Gott versöhnt wollte er sein.

 

Wenigstens mit Gott versöhnt! Wenigstens an Jesus Halt finden, wo ich mich trotz allem angenommen und geliebt weiß. Wenigstens mit Gott versöhnt, wenigstens den inneren Frieden finden und dass die aufgewühlte Seele zur Ruhe kommt. Alle Lebenslast am Kreuz ablegen. Wenigstens bei ihm den Zuspruch „der Gerechtigkeit finden, die vor Gott gilt“ (V.21) – keine Selbstgerechtigkeit sondern die Rechtfertigung aus der Vergebung der Schuld. Darum: „Lasst euch versöhnen mit Gott.“

 

Vielleicht gelingt dann auch der zweite Schritt, die Versöhnung mit der eigenen Biografie, mit den Brüchen und dem Scheitern im eigenen Leben. Nicht mehr damit hadern, was man versäumt hat und was einem verwehrt worden ist im Leben sondern entdecken und dankbar  annehmen, dass Gott seinen Segen auch auf krummen Linien gerade schreiben kann.

Nicht immer nur dem nachhängen, wo man anders sein und anderen gefallen wollte und sich dabei selbst verloren hat. Sondern versöhnt mit der eigenen Vergangenheit befreit nach vorne schauen und wieder Lebensfreude erfahren. Die Versöhnung mit Gott hat mich frei gemacht, dass ich auch versöhnt sein kann mit meinem Leben so, wie es eben ist.

 

Und dann die Versöhnung mit den Geschwistern oder Nachbarn, wo das Tischtuch zerschnitten ist. Diese Versöhnung ist am schwersten, weil tiefe Verletzungen nicht so schnell heilen. Wenn Beziehungen zwischen Menschen gestorben sind, dann kommt nicht schon nach drei Tagen ein „Ostern der Versöhnung“ und eines neuen Anfangs. Oft dauert es Jahre. Aber:

Wer am Karfreitag die Versöhnung mit Gott an sich geschehen ließ, der wird eines Tages auch die Kraft erfahren, die Hand zur Versöhnung auszustrecken.  Die Auferstehung Jesu aus dem Tod wird auch gestorbene Beziehungen  zu neuem Leben erwecken.

 

Von dieser Hoffnung war der Apostel Paulus durchdrungen. Denn er litt unter dem Zerwürfnis mit einzelnen in der Gemeinde in Korinth. Man warf ihm Eigennutz und Rechthaberei vor.

Versöhnt mit Gott und mit seinem Gewissen reichte Paulus nun die Hand und machte dies zur zentralen Botschaft des christlichen Glaubens: „So bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott.“

Gott lässt bitten. Er verzichtet auf Drohungen: „Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt.“ Gott lässt bitten: „Lasst euch versöhnen mit Gott und mit euren Mitmenschen.“

 

3.3. Liebe Gemeinde, es ließ im letzten Jahr aufhorchen, als nach dem Volksentscheid zum Artenschutz vom Landtag ein sog.“Versöhnungsgesetz“ verabschiedet wurde. Es ist schon bemerkenswert, dass ein „Versöhnungsgesetz“ für notwendig erachtet wurde. Ja, der Zusammenhalt der Gesellschaft – hier die Bauern und dort die Naturschützer – droht auseinander zufallen. Versöhnung tut Not und ist nicht nur eine kirchliche Verkündigung sondern auch eine gesellschaftspolitische Aufgabe.

Wie schwierig und umso notwendiger dies ist, wurde mir deutlich, als ein Bauer aus unserer Nachbarschaft erzählte: Nach einer hitzigen Diskussion über Landwirtschaft und Naturschutz habe er am Ende die Hand zur Versöhnung ausgestreckt. Aber sie wurde abgelehnt. Zu tief waren die Gräben.

Umso mehr gilt die Botschaft Jesu: „Lasst euch versöhnen.“ Lasst nicht nach zu bitten. Nur versöhnt gibt es eine Zukunft. „So sind wir nun Botschafter an Christi Statt“ und führen sein Erbe nach dem Karfreitag in österlicher Hoffnung weiter: „Lasst euch versöhnen.“

Amen.

Lied:

631,1-3  All eure Sorgen bringt vor das Kreuz
oder: 93,1-4 Nun gehören unsre Herzen ganz dem Mann von Golgatha

Fürbitten und Vaterunser

Herr Jesus Christus,

an diesem Karfreitag stehen wir unter deinem Kreuz. Wir danken dir für die Versöhnung, die du unter uns wirkst. Als du sprachst „Es ist vollbracht“, da hast du auch an uns gedacht und uns erlöst aus Sünde und Schuld.

Heute denken wir an die vielen „Karfreitage“ in der Welt, wo Menschen gefoltert und gequält, missbraucht und gedemütigt werden. Stehe du ihnen bei und heile ihre Wunden, erlöse sie aus der Gewalt des Bösen. Stärke die Kraft der Zuversicht, dass sie den Weg in eine heilvolle Zukunft finden.

Wir bitten dich für die Menschen, die in dieser Corona-Krise den schwärzesten Karfreitag ihres Lebens erfahren, weil alles zusammenbricht, was sie sich aufgebaut haben und weil sie sich in Todesangst und Trauer allein gelassen fühlen. Erbarme dich ihrer und stärke die Kraft der Zuversicht, dass sie ein Ostern und neuen Lebensmut erfahren und dass mit der staatlichen Hilfe der Neuanfang gelingt.

Guter Gott, wir danken dir auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, den wir in diesen Wochen erfahren, für die medizinische und pflegerische Hilfe, für die tatkräftigen Leute in Politik und Verwaltung. Stärke die Kraft der Zuversicht, dass wir aus der Krise auch die nötigen Lehren ziehen und unser Zusammenleben zukunftsfähig gestalten.

So vieles liegt uns auf dem Herzen, das wir einschließen in unser gemeinsames Gebet: Vater unser im Himmel...

Segen

Der Herr segne euch und behüte euch.

Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig.

Gott, der Herr erhebe sein Angesicht auf euch und schenke euch Frieden.

Das verleihe euch der dreieinige Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist.

Amen.

Pfarrer Wilfried Beyhl